Hätte mir vor einigen Jahren jemand gesagt, dass wir mal Waschbären halten würden, hätte ich garantiert gelacht und „Ja klar..“ geantwortet. Um ehrlich zu sein war mir vor meinem Umzug nach Hessen nicht einmal klar, dass es in Deutschland Waschbären gibt. Und dass wir ein Problem mit Waschbären als invasive Art haben, wusste ich erstrecht nicht. Aber wie sagt man? Man lernt nie aus. Vor allem als Tierärztin..
Schnell hatte ich recherchiert, dass Waschbären einerseits in den 1930er Jahren aktiv von Menschenhand ausgesiedelt wurden (hups), um die heimische Fauna zu bereichern und andererseits verbreiteten sie sich 1945 durch einen Ausbruch aus einer Pelztierfarm. Dass sie nun omnipräsent sind und einfach tun und lassen was sie wollen, halte ich ehrlich gesagt ein bisschen für Karma..
Problem ist nun also, dass der Waschbär in Deutschland über keine natürlichen Feinde verfügt. Sein einziger Feind sind schnell fahrende Autos. Demnach kam es wie es kommen musste: Bei der Populationsdezimierung kamen selbst die motiviertesten Porschefahrer nicht mehr hinterher und inzwischen gibt es schätzungsweise ca. 700.000 Exemplare in Deutschland (Stand 2017), die mit ihren kleinen, raffinierten Händen und ihren diebischen, klugen Verhaltensweisen den Menschen in den Wahnsinn treiben. Daher wurde der Waschbär von der EU-Kommission durch die am 3. August 2016 in Kraft getretenen Durchführungsverordnung (EU) 2016/1141 in die Liste invasiver gebietsfremder Arten aufgenommen, was gerade uns tierärztlichem Fachpersonal das Management leider extrem erschwert hat.
2022, also etwa 8 Jahre nachdem ich erstmalig realisiert hatte, dass diese maskierten Banditen durchaus in Deutschland beheimatet sind, wurde meiner Kollegin ein krankes, verwaistes Waschbär-Baby in die Praxis gebracht. Auftritt Waschbär Schnute: der Anfang von etwas sehr schönem und lebensverändernden für mich und meinen Mann. Denn schnell wurde klar: Die deutsche Gesetzeslage erlaubte jetzt eigentlich quasi erstmal gar nichts und spricht ein klassisches behördliches „Computer sagt Nein“ aus. Weder durfte man den Bären gesund machen, kastrieren und wieder in die Freiheit entlassen (einen einmal in menschlicher Obhut befindlichen Wachbären wieder in die Natur zu entlassen stellt eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 69 Abs. 6 BNatSchG dar), noch durften wir ihn einschläfern (Tierschutzgesetz § 1: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“) – was für uns natürlich auch keine Option dargestellt hätte.
Einzige Option war also, eine Endstelle zu finden, in der Schnute ein glückliches Waschbär-Leben in Gefangenschaft leben durfte, bis das der Tod ihn von uns scheidet… Einziges Problem: Es gibt relativ wenige Endstellen und relativ viele Waschbär-Babys die eingesammelt werden (teils sinnvoll, teils aber auch leider extrem sinnlos), sodass die Zahlen leider nicht wirklich harmonieren.
Also entschieden mein Mann und ich uns, ein riesiges Waschbärgehege in unseren Garten zu bauen – bzw. konkret: ich entschied, dass mein Mann die Ehre hat, ein riesiges Waschbärgehege in unseren Garten zu bauen.
Das Gehege musste den Anforderungen des Säugetiergutachtens erfüllen. Diese Anforderungen an ein Außengehege waren zum damaligen Zeitpunkt folgende Größenverhältnisse (Zitat aus dem Gutachten): „mindestens 30 m² bzw. 90 m³ pro Paar [..]; für jedes weitere erwachsene Tier 2 m² bzw. 6 m³ mehr; 3,0 m Höhe.“ Zudem mussten ein Wasserbecken und Klettermöglichkeiten gegeben sein.
Nichts leichter als das! Immerhin hab ich den handwerklich talentiertesten Mann überhaupt, der nach einem Besuch bei einer anderen Waschbärhalterin ebenso bezaubert von dieser Tierart war wie ich und ein absolutes Wunder vollbracht hat mit dem Gehege, was er uns gebaut hat.
Über Facebook (eine ziemlich gute Quelle, was Informationen zu Waschbären und Waschbär-Vermittlung angeht, wie sich herausstellte) fanden sich recht schnell noch zwei Freunde für Schnute: Tatze und Nimo. Die drei kleinen Chaoten großzuziehen neben dem Bau des Geheges, meinen anderen Tieren und meinem Vollzeitjob, war so ziemlich das anstrengendste was ich jemals gemacht habe. Neben der ca. 2-stündlichen Flaschen-Fütterung (ja, auch nachts) mussten Kot-und Urinabsatz mittels Massagen stimuliert werden (alles nicht so schlau konzipiert von Mutter Natur) und nebenbei wurde natürlich auch nach Entertainment verlangt. Letztlich hat es sich aber extrem gelohnt: alle drei sind wahnsinnig zahm, zutraulich und liebenswert geblieben und bereichern unseren Alltag extrem!
Während der Aufzucht habe ich mich auch noch um die Bürokratie gekümmert: Baugenehmigung, Haltungsgenehmigung und Wissensgewinn hinsichtlich Waschbärhaltung.
Es war absolut anstrengend, überhaupt an Informationen hinsichtlich der Zuständigkeiten zu diesem Thema zu kommen. Telefonat für Telefonat brachte folgende Erkenntnis: offensichtlich wollte sich einfach absolut niemand diesem behördlich wohl eher unangenehmen Thema widmen. Die Jagdbehörde schickte mich zur unteren Naturschutzbehörde, die untere Naturschutzbehörde zur oberen Naturschutzbehörde und diese wiederum zum Regierungspräsidium, wo sich dann jemand widerstrebend meinem Anliegen annahm.
Die Haltungsgenehmigung wurde mir nach langem Hin und Her und der mehrfachen Nachfrage meinerseits, was denn eine alternative Option wäre („naja eigentlich keine“) erteilt. Die Kompetenz eine Tierärztin zu sein, reichte der Behörde letztlich dann aus, um mir die entsprechende Sachkunde zu bescheinigen. Begeistert war niemand von meiner Idee, es stellte sich aber letztlich dann auch niemand mehr quer. Die Bedingungen, die wir erfüllen mussten waren:
- Der Bau eines Geheges, das den Anforderungen des Säugetiergutachtens gerecht wird und absolut ausbruchs- und einbruchsicher verschlossen wird
- Eine Mikrochip-Kennzeichnung und Fotodokumentation der drei Bären
- Den Nachweis einer Kastration
Nicht behördlich obligat, aber für mich selbst sehr wichtig waren die Impfungen gegen Staupe, Hepatitis, Parvovirose und Tollwut sowie regelmäßige Entwurmungen, da es sich beim Waschbärspulwurm um eine Zoonose handelt mit der sich Menschen also anstecken können.
Was fressen Waschbären? – Kurz gesagt: Alles. Optimalerweise kein Katzenfutter, da zu proteinreich. Waschbären sind Omnivoren, keine reinen Carnivoren. Zudem sollte der Speiseplan optimalerweise aus recht viel Frischfutter (Obst, Gemüse), Nüssen und Insekten bestehen.
Als Babys war die Welpenmilch von Royal Canin ihre Mahlzeit (oft und viel), da diese als „am waschbärverträglichsten“ gilt. Dann wurde umgestellt auf Hunde-Welpenfutter, gemischt mit Babygläschen aus Obst und Gemüse. Nach und nach wurden dann Insekten, Nüsse und feste Obst- und Gemüseteile ergänzt und inzwischen ist die Fütterung super einfach und sehr abwechslungsreich möglich.
Favorit Nr. 1 bleiben allerdings Butterkekse – die kommen im Medical Training und bei Besuch zum Einsatz und sind weiterhin das absolute Highlight.
Alles in allem lässt sich also sagen: Waschbärhaltung ist zu Beginn mit extrem viel Aufwand verbunden, aber es lohnt sich, dran zu bleiben. Die Bären sind zauberhaft und es macht so wahnsinnig viel Spaß, ihnen zuzuschauen und mit ihnen zu interagieren. Zudem sind sie stubenrein, benutzen also eine Katzentoilette und sind insgesamt einfach waschechte Sonnenscheinchen und richtige Banditen, die einen immer zum Lachen bringen.
Die medizinische Versorgung ist leider noch etwas experimentell, da keiner so richtig viel über sie weiß, aber alles in allem machen sie einfach Spaß und sind mega witzig.
Zu guter Letzt: Den allgemeinen Waschbär-Hass kann ich begrenzt nachvollziehen. Sie sind richtige Gauner! Sie setzen durch, was sie wollen und haben die geschicktesten Hände der Welt. Und so chubby sie auch wirken, umso sportlicher sind sie eigentlich – sie kommen überall drauf, drunter und rein und zerstören gerne und viel. Die Halbwertszeit eines neuen Spielzeuges beschränkt sich auf 12 Stunden (wenn es sehr robust ist), also kann man sich ausmalen, wie es mit Dachböden, Dämmungen oder dem Mülltonneninhalt aussieht.
Es handelt sich allerdings mal wieder um ein menschengemachtes Problem – ohne unsere superschlaue Möchtegern-Superior-Spezies wären Waschbären hier niemals heimisch geworden und nun müssen wir eben mit den Konsequenzen leben. Dass eine vielfache Bejagung die Populationsdichte letztlich nur steigert durch die Ankurbelung der art-internen Reproduktion, hat bereits eine große Studie aus Kanada gezeigt. Die einzig sinnvolle Maßnahme wären in meinen Augen Kastrationsprogramme. Und vor allem sollten denjenigen, die zumindest eine Teillösung zum Problem beitragen indem sie diese Tiere aufnehmen, nicht so viele Steine in den Weg gelegt werden.