Zwischen Tierschutz und Wahnsinn
Waschbären als Haustiere halten – das geht?! Hätte mir vor einigen Jahren jemand gesagt, dass wir mal Waschbären halten würden, hätte ich ihn garantiert ausgelacht. Um ehrlich zu sein war mir vor meinem Umzug nach Hessen nicht einmal klar, dass es in Deutschland Waschbären gibt. Und dass wir sogar ein Problem mit Waschbären haben, wusste ich erst recht nicht. Aber wie sagt man? Man lernt nie aus. Vor allem als Tierärztin..
Schnell war recherchiert, dass Waschbären einerseits in den 1930er Jahren aktiv von Menschenhand ausgesiedelt wurden (hups), um die heimische Fauna zu bereichern und andererseits verbreiteten sie sich 1945 durch einen Ausbruch aus einer Pelztierfarm. Dass sie nun omnipräsent sind und einfach tun und lassen was Waschbären so tun und lassen, halte ich ehrlich gesagt ein bisschen für Karma.
Das Grundproblem
Problem ist also, dass der Waschbär in Deutschland über keine natürlichen Feinde verfügt. Sein einziger Feind sind schnell fahrende Autos. Demnach kam es wie es kommen musste: Bei der Populationsdezimierung kamen selbst die motiviertesten Porschefahrer nicht mehr hinterher. Inzwischen gibt es schätzungsweise ca. 2 Millionen Exemplare in Deutschland (Stand 2024). Diese treiben mit ihren kleinen, raffinierten Händen und diebisch-klugen Verhaltensweisen den Menschen in den Wahnsinn. Daher wurde der Waschbär von der EU-Kommission durch die Durchführungsverordnung (EU) 2016/1141 in die Liste invasiver gebietsfremder Arten aufgenommen. Dies erschwert gerade uns tierärztlichem Fachpersonal das Management leider extrem.
Auftritt: Waschbär "Schnute"
2022, also etwa 8 Jahre nachdem ich erstmalig realisiert hatte, dass diese maskierten Banditen in Deutschland beheimatet sind, wurde meiner Kollegin ein krankes, verwaistes Waschbär-Baby in die Praxis gebracht. Auftritt Waschbär Schnute. Dies war der Anfang von etwas sehr schönem und lebensveränderndem für mich und meinen Mann. Denn schnell wurde klar: Die deutsche Gesetzeslage erlaubte jetzt eigentlich quasi erstmal gar nichts. Klassisches „Computer sagt Nein“. Weder durfte man den Bären gesund machen, kastrieren und wieder in die Freiheit entlassen (einen einmal in menschlicher Obhut befindlichen Wachbären wieder in die Natur zu entlassen stellt eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 69 Abs. 6 BNatSchG dar), noch durften wir ihn einschläfern (Tierschutzgesetz § 1: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“) – was für uns natürlich sowieso keine Option dargestellt hätte.
Einzige Option war also, eine Endstelle zu finden, in der Schnute ein glückliches Waschbär-Leben in Gefangenschaft leben durfte. Und das bis das der Tod ihn von uns scheidet… Einziges Problem: Es gibt relativ wenige Endstellen und relativ viele Waschbär-Babys die eingesammelt werden.

Die Entscheidung, Waschbär-Eltern zu werden
Also entschieden mein Mann und ich uns, ein riesiges Waschbärgehege in unseren Garten zu bauen. Konkret: ich entschied, dass mein Mann die Ehre hatte, ein riesiges Waschbärgehege in unseren Garten zu bauen.
Das Gehege musste die Anforderungen des Säugetiergutachtens erfüllen. Diese Anforderungen an ein Außengehege waren folgende Größenverhältnisse (Zitat aus dem Gutachten): „mindestens 30 m² bzw. 90 m³ pro Paar [..]; für jedes weitere erwachsene Tier 2 m² bzw. 6 m³ mehr; 3,0 m Höhe.“ Zudem mussten ein Wasserbecken und Klettermöglichkeiten gegeben sein. Nichts leichter als das! Immerhin hab ich den handwerklich talentiertesten Mann überhaupt. Dieser war zum Glück nach einem Besuch bei einer anderen Waschbär-Halterin ebenso bezaubert von dieser Tierart wie ich. Somit setzte er meinen Plan in die Tat um.

Schnute brauchte natürlich Freunde!
Das ansonsten ausgestorbene Facebook war 2022 noch eine ziemlich gute Waschbär-Vermittlungs-Börse, wie sich herausstellte. Darüber fanden sich recht schnell zwei kleine Freunde für Schnute: Waschbär Tatze und Waschbärin Nimo. Die drei kleinen Chaoten großzuziehen neben Bau des Geheges, anderen Tieren und Vollzeitjob, war das anstrengendste überhaupt. 2-stündliche Flaschen-Fütterung (ja, auch nachts), Bauchmassagen zur Stimulation von Kot-und Urinabsatz und massenweise Entertainment wurden verlangt. Letztlich hat es sich aber extrem gelohnt! Alle drei sind bis heute wahnsinnig zahm, zutraulich und liebenswert. Sie bereichern unseren Alltag extrem!

Es wäre ja nicht Deutschland, wenn...
…nicht selbst zum Nischenthema „Waschbär“ eine endlose Liste an bürokratischen Maßnahmen existieren würde: Baugenehmigung, Sachkundenachweis und Haltungsgenehmigung standen an. Es war absolut anstrengend, überhaupt an Informationen hinsichtlich der Zuständigkeiten zu diesem Thema zu kommen. Telefonat für Telefonat brachte folgende Erkenntnis: offensichtlich wollte sich einfach absolut niemand dem Thema widmen. Die Jagdbehörde schickte mich zur unteren Naturschutzbehörde. Die untere Naturschutzbehörde zur oberen Naturschutzbehörde und diese wiederum zum Regierungspräsidium. Dort nahm sich dann jemand widerstrebend meinem Anliegen an.
Die Haltungsgenehmigung wurde mir erteilt. Nach langem Hin und Her und der mehrfachen Nachfrage meinerseits, was denn eine alternative Option wäre („Naja, eigentlich keine“). Die Kompetenz eine Tierärztin zu sein, reichte der Behörde aus, um mir die entsprechende Sachkunde zu bescheinigen. Begeistert war niemand von meiner Idee, es stellte sich aber dann auch niemand mehr quer.
Bedingungen, die erfüllt werden mussten
Die Bedingungen, die wir erfüllen mussten waren:
- Der Bau eines Geheges, das den Anforderungen des Säugetiergutachtens gerecht wird. Es musste absolut ausbruchs- und einbruchsicher verschlossen werden
- Eine Mikrochip-Kennzeichnung und Fotodokumentation der drei Bären
- Den Nachweis einer Kastration
Nicht behördlich obligat, aber für mich selbst sehr wichtig waren die Impfungen gegen Staupe, Hepatitis, Parvovirose und Tollwut sowie regelmäßige Entwurmungen. Es handelt sich beim Waschbärspulwurm übrigens um eine Zoonose, mit der sich Menschen also anstecken können.

Der Speiseplan
Was fressen Waschbären? Kurz gesagt: Alles. Optimalerweise kein Katzenfutter, da zu proteinreich. Waschbären sind Omnivoren, keine reinen Carnivoren. Zudem sollte der Speiseplan aus recht viel Frischfutter (Obst, Gemüse), Nüssen und Insekten bestehen.
Als Babys war die Welpenmilch von Royal Canin angezeigt, da diese als „am waschbärverträglichsten“ gilt. Dann wurde umgestellt auf Hunde-Welpenfutter, gemischt mit Babygläschen aus Obst und Gemüse. Nach und nach wurden dann Insekten, Nüsse und feste Obst- und Gemüseteile ergänzt. Inzwischen ist die Fütterung super einfach und sehr abwechslungsreich möglich. Favorit Nr. 1 bleiben allerdings Butterkekse. Die kommen im Medical Training und bei Besuch zum Einsatz und sind das absolute Highlight.
Große Waschbär-Haltungs-Empfehlung
Alles in allem lässt sich also sagen: Waschbärhaltung ist zu Beginn mit extrem viel Aufwand verbunden. Es lohnt sich aber, dran zu bleiben. Die Bären sind zauberhaft und es macht wahnsinnig viel Spaß, mit ihnen zu interagieren. Zudem sind sie stubenrein, benutzen also eine Katzentoilette. Sie sind echte Sonnenscheinchen und richtige Banditen, die einen immer zum Lachen bringen. Nur die medizinische Versorgung ist leider etwas experimentell, da keiner fachlich wirklich viel über sie weiß.
Abschließende Gedanken
Zu guter Letzt: Den allgemeinen Waschbär-Hass kann ich begrenzt nachvollziehen. Sie sind richtige Gauner! Sie setzen durch, was sie wollen und haben die geschicktesten Hände der Welt. Und so chubby sie auch wirken, umso sportlicher sind sie eigentlich. Sie kommen überall drauf, drunter und rein und zerstören gerne und viel. Die Halbwertszeit eines neuen Spielzeuges beschränkt sich auf 12 Stunden (wenn es sehr robust ist). Man kann sich also ausmalen, wie es mit Dachböden, Dämmungen oder dem Mülltonneninhalt aussieht.
Es handelt sich allerdings mal wieder um ein menschengemachtes Problem. Ohne unsere superschlaue Möchtegern-Superior-Spezies wären Waschbären hier niemals heimisch geworden. Nun müssen wir eben mit den Konsequenzen leben. Dass eine vielfache Bejagung die Populationsdichte letztlich nur steigert, hat bereits eine große Studie aus Kanada gezeigt. Dies geschieht durch die Ankurbelung der art-internen Reproduktion. Die einzige sinnvolle Maßnahme wären in meinen Augen Kastrationsprogramme. Und denjenigen, die eine Teillösung beitragen, indem sie diese Tiere aufnehmen, sollten keine Steine in den Weg gelegt werden.
