Medikamenten-Nebenwirkungen: Korrelation vs. Kausalität!

In den letzten Wochen ging ein Aufschrei durch die Hundebesitzer:innen-Szene: Die schmerzlindernde „Arthrose-Spritze“ Librela (Wirkstoff: Bedinvetmab) wurde beschuldigt, Hunden schwere Leiden und Schäden zuzufügen, bis hin zum elendigen Tod der Patienten. Social Media wurde überflutet mit Warnungen. Ein Shitstorm der grenzenlosen Panik brach los, Tierärzt:innen wurden für ihre Unreflektiertheit beschimpft und verurteilt, weil sie das Medikament „ohne entsprechende Aufklärung“ anwenden, eine unfreiwillige Rechtfertigungs-Spirale in Praxen und Kliniken wurde losgetreten, ohne dass das Fachpersonal so richtig wusste, worum es überhaupt ging, denn in Fachkreisen wird das Medikament weiterhin als sehr sicher und nebenwirkungsarm eingestuft, gerade im Vergleich zu anderen schmerzstillenden Medikamenten, die bei Arthrosepatienten im Rahmen einer multimodalen Therapie zum Einsatz kommen können.

Wir entdecken Parallelen  zum schreienden Online-Fackeln-und-Mistgabeln-Mob, der zum Anti-Zecken-Medikament Bravecto (Wirkstoff: Fluralaner) vor einigen Jahren im Internet unterwegs war, oder?

Generell gilt selbstverständlich: Jedes Medikament mit Wirkung, die über den Placebo-Effekt hinausgeht, hat natürlich auch Nebenwirkungs-Potenzial! Jede potenzielle Nebenwirkung sollte definitiv dokumentiert und gemeldet werden (Stichwort: Pharmakovigilanz), um gemeinsam als internationale Gemeinschaft an Tierärzt:innen und Tierbesitzer:innen an den Praxiserfahrungen zu wachsen und entsprechende Studien anzustoßen.

ABER – und das ist ein sehr großes ABER: Es muss auch immer sehr stark hinterfragt werden, ob es sich bei den Beobachtungen um Kausalitätszusammenhänge oder reine Korrelation handelt. Bei einer Kausalität ist ein Ereignis für ein anderes verantwortlich. Bei einer Korrelation hingegen treten zwei Ereignisse möglicherweise zeitnah zueinander auf, stehen aber in keiner Ursache-Wirkungs-Beziehung zueinander.

Kommt eine Katze beispielsweise nach der Gabe einer Wurmtablette humpelnd vom Freigang nachhause, ist es wahrscheinlich, dass doch eher der Kampf mit dem Nachbarskater, oder das zu schnell fahrende Auto in der 30er-Zone für das Symptom verantwortlich sind und nicht die Wurmtablette. Was in diesem Fall sehr eindeutig wirkt und wahrscheinlich beim Leser die Frage aufwirft: „Hält die uns eigentlich für dumm?“, ist in anderen Situationen definitiv gar nicht immer so einfach zu beurteilen!

So kann es durchaus vorkommen (und das auch bei mehreren behandelten Tieren!), dass Tiere nach einer Medikamentengabe Symptome zeigen, die vorher nicht da waren und die dennoch auf eine andere Grunderkrankung oder Komorbidität (Begleiterkrankung) zurückzuführen sind und nicht auf das Medikament. Der Rückschluss „Medikament-Symptom“ muss einfach sehr vorsichtig gezogen werden.

Generell muss erwähnt werden, dass jedes auf dem deutschen Markt erhältliche echte Medikament vor seiner Zulassung einen sehr aufwedigen Zulassungsprozess durchläuft, der dessen Sicherheit garantieren und Nebenwirkungen offenlegen soll. Zudem sind alle Tierärzt:innen auch nach der Zulassung noch angehalten, beim Auftreten möglicher Nebenwirkungen sogenannte Pharmakovigilanz-Meldungen abzugeben, denen nachgegangen wird. Dies wird in der Praxis in der Regel auch genau so gehandhabt! Immerhin ist unser aller oberstes Ziel, dass es unseren Patienten gut geht und kein Tierarzt und keine Tierärztin der Welt hat irgendeinen Vorteil davon, Nebenwirkungen kleinzureden oder zu verschweigen.

Um herauszufinden, ob ein Symptom wirklich die Nebenwirkung der Verabreichung eines Medikaments darstellt, müssen immer mit sauberer Diagnostik alle anderen Differentialdiagnosen für dieses Symptom ausgeschlossen werden! Das kann aufwendig sein und auch Diagnostika wie MRT, CT, Laboruntersuchungen oder / und Hirnwasserpunktion bedeuten. Erfahrungsgemäß werden solche Diagnostika in der Praxis leider gerne mit Aussagen wie: „Wir wollen ihn nicht quälen, er ist ja schon so alt“ abgelehnt. Der Ausschluss anderer Ursachen ist aber vor allem (!) bei älteren Patienten, die die Zielgruppe der „Arthrosespritze“ darstellen, extrem wichtig, da bei diesen sehr häufig Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) und schwere Grunderkrankungen wie Tumoren, neurologische Erkrankungen, Herzerkrankungen, degenerative Erkrankungen u.s.w. auftreten. Problem ist, dass diese oft lange Zeit über keinerlei Symptome verursachen und durch mangelhafte Vorsorge unentdeckt bleiben. Wenn dann von jetzt auf gleich der „große Knall“ an Symptomen eintritt, kann es auf die Besitzer:innen natürlich so wirken, als sei dieser durch eine vorherige Medikamentengabe induziert. Mit echter Kausalität muss dieses (nachvollziehbare) emotionale Empfinden aber nichts zutun haben! Auch nicht, wenn mehrere Menschen ähnliche Symptome bei ihren Tieren beobachten, da ältere Patienten eben generell statistisch gesehen eher Symptome von Erkrankungen ausprägen und die Duplizität der Fälle garantiert, dass zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten der Welt ähnliche Krankheitsbilder auftreten können! Zudem muss erwähnt werden, dass Patienten mit „Arthrose“ oft vor der Gabe der Symptom-Therapie (und darum handelt es sich auch bei Librela) nicht in Gänze ausdiagnostiziert sind. Sei es aus Kostengründen, oder weil die Diagnostik-Motivation der Besitzer:innen sich aus anderen Gründen in Grenzen hält. Symptome, die auf den ersten Blick durchaus orthopädisch erscheinen, werden gerne einfach auf das Alter und eine Arthrose geschoben. Diese Symptome können jedoch auch durch neurologische Grunderkrankungen entstehen und für diese ist die Anwendung von Librela überhaupt nicht bestimmt. Dass diese „verpassten“ neurologischen Symptome trotz der Therapie dann schlechter werden, ist definitiv möglich! „Trotz“ – nicht „wegen“!

Foto: Großer Milztumor, der den gesamten Bauchraum einnimmt und bei diesem Hund bis zu diesem Zeitpunkt nicht entdeckt worden war. Eine mögliche Ursache für ein plötzlich gestörtes Allgemeinbefinden beim älteren Hund.

Gerade wenn es sich um Medikamente handelt, die der breiten Masse zugänglich sind und täglich vielen Tieren verabreicht werden – und dies ist gerade bei Antiparasiten-Mitteln und Arthrosemedikation einfach der Fall -, muss auch die breite Masse an Patienten beurteilt werden und nicht der individuelle Einzelfall. Und ja – auch 100 Patienten sind im Vergleich zur Masse „Einzelfälle“, wenn wir von solchen Medikamenten sprechen. Selbstverständlich muss Symptomen, die möglicherweise im Zusammenhang mit einem Medikament auftreten, evidenzbasiert und wissenschaftlich auf den Grund gegangen werden. Ich wiederhole: Das Fachpersonal hat KEINEN Vorteil davon, „gefährliche“ Medikamente zu vermarkten und wir sind alle absolut gewillt und motiviert, unsere täglichen Tools zur Patientenbehandlung auch zu hinterfragen und dazuzulernen. Daher ist Tierärzt:innen-Bashing an diesem Punkt einfach nicht angebracht.

Um noch kurz näher auf die im Titel genannten Medikamente einzugehen:

Aus meiner persönlichen Praxiserfahrung heraus und durch den regelmäßigen ehrlichen Austausch mit Kolleg:innen aus aller Welt, kann ich sagen, dass mir kein einziger Fall einer bedrohlichen Nebenwirkung von Librela bekannt ist. Lediglich das Ausbleiben der erhofften „Wunderwirkung“ ist in einigen Fällen durchaus zu bemerken! Bei Vermeidung der Anwendung von Bravecto bei bestimmten Vorerkrankungen, oder auch potenziell noch asymptomatisch neurologisch erkrankten Patienten, ist auch die gefürchtete Zeckentablette extrem gut verträglich.

Nach der Gabe von Bravecto (Wirkstoff: Fluralaner) können durchaus häufig kurzfristig Durchfall, Erbrechen, Appetitlosigkeit und ein vermehrter Speichelfluss auftreten. Laut Packungsbeilage wurde in sehr seltenen Fällen zudem in spontanen (Pharmakovigilanz-) Berichten von Kolleg:innen durchaus auch von anschließend auftretenden neurologischen Symptomen wie Konvulsionen, Ataxie, Muskeltremor und Lethargie berichtet. Dies deckt sich mit meiner persönlichen Wahrnehmung, auch wenn ich selbst noch keinen entsprechenden Patienten hatte. Dennoch handelt es sich bei der korrekten Anwendung um ein sehr geringes Risiko, welches – wie immer – gegen den Nutzen des Medikaments im individuellen Fall abgewogen werden muss.

Bei Librela finden sich (abgesehen von einer Hautreaktion und mildem Juckreiz nach Verabreichung) weder im Beipackzettel, noch in der Fachliteratur, noch im aktuellen Erfahrungsschatz von mir und meinen Kolleg:innen unerwünschte Nebenwirkungen, die irgendeinen Grund zur Sorge darstellen würden (Stand 12.03.2025). Sollte sich dies ändern, werde ich hier selbstverständlich darüber berichten, denn letztlich lernen wir alle nie aus und sind damit ganz transparent!

Dieser Artikel ist keine Werbung für die entsprechenden Medikamente, denn dafür bekäme ich leider auch nicht, wie oft im Netz verbreitet, Geld von irgendeiner ominösen Pharmalobby 😉. Es gibt tolle Alternativen auf dem Markt, die ebenfalls ihre Daseinsberechtigung haben!

Dieser Bericht soll einfach nur dazu anregen, Zusammenhänge kritisch zu hinterfragen und nicht auf den Zug der Panikmache und Emotionalisierung aufzuspringen und ein gewisses Vertrauen ins erfahrene Fachpersonal zu behalten.

Danke!

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