Wusstest du, dass im Jahr 2050 10 Millionen Menschen jährlich an Antibiotika-
Resistenzen sterben werden? Sie sterben nicht an der Resistenz selbst, sondern
an einer (eventuell eigentlich sehr unspektakulären) bakteriellen Infektion,
gegen die einfach keine Therapie mehr hilft. Sehr elendig, dieses Schicksal,
findest du nicht auch? Und einer dieser Menschen kannst auch du sein, oder ein von dir geliebtes Familienmitglied.
Aber wieso sprechen wir auf einer Tiermedizin-Seite darüber? Und wieso
stecken wir alle mitten drin im Problem und dürfen uns der Verantwortung
nicht entziehen? – Gehen wir es doch mal gemeinsam durch!
Mikrokopie: Ausstrich von vaginalem Ausfluss einer Hündin mit offener
Gebärmutter-Vereiterung (Pyometra). Die kleinen, dunkelblauen Punkte sind
Bakterien, die großen, wolkigen Strukturen Eiterzellen (neutrophile
Granulozyten).
Antibiotika sind Medikamente, die gegen bakterielle Infektionen helfen
(sollen). Dies tun sie auf verschiedene Arten und Weisen. Durch verschiedene
Antibiotika-Stoffklassen werden verschiedene Arten an Erregern abgetötet
oder stark geschwächt, sodass das körpereigene Immunsystem sie letztlich
eliminieren kann. Ist es nicht fantastisch, dass uns so großartige Medikamente
zur Verfügung stehen? – Ohja!!
Der Einsatz dieser Super-Waffen muss aber extrem vorsichtig und mit Gehirn
erfolgen, denn neben zahlreichen möglichen Nebenwirkungen, die es zu
vermeiden gilt, besteht bei jeder einzelnen (!) Anwendung eines Antibiotikums
die Möglichkeit, dass sich Resistenzen ausbilden, sodass das Medikament nicht
mehr wirkt.
Oft begegnet mit im Alltag die Argumentation „Ach, mein Hund brauchte bisher
ja noch nie ein Antibiotikum. So schnell wird der ja jetzt nicht resistent
werden“. Hier liegt aber ein Denkfehler vor: Entgegen der allgemeinen
Vorstellung bilden nämlich nicht die behandelten Menschen oder Tiere eine
Resistenz aus, sondern die behandelten Bakterien werden resistent. Das ist ein
ganz wichtiger Unterschied, denn dadurch wird die Resistenz nicht nur für das
Einzeltier / den einzelnen Menschen zur Gefahr, sondern bedroht uns alle.
Die resistenten Bakterien vermehren sich munter weiter und können dann vom
inadäquat behandelten Patienten einfach fröhlich den nächsten tierischen oder
menschlichen Patienten befallen und auch bei diesem wird das entsprechende
Antibiotikum dann nicht mehr helfen!
Am Ende stehen wir also mit dem Rücken zur Wand, da wir es inzwischen
bereits häufig mit multiresistenten Keimen zutun haben, also
Infektionserregern, bei denen multiple Antibiotika wirkungslos geworden sind.
Das Problem betrifft uns alle. Weltweit. Mensch und Tier.
Was können wir nun aber tun, um der Problematik entgegenzuwirken? Ganz
einfach: Wir müssen den Einsatz unserer Superwaffen signifikant reduzieren!
Das betrifft neben der Tiermedizin natürlich auch die Humanmedizin, aber da
das nicht meine Baustelle ist, spreche ich hier über den Einsatz von Antibiotika
in der Tiermedizin.
Ich erlebe es in der täglichen Praxis nicht selten, dass Besitzer:innen von sich
aus den Wunsch nach einem Antibiotikum äußern. In den allermeisten Fällen
braucht es aber gar kein Antibiotikum und in sehr vielen Fällen ist es sogar
kontraindiziert, obwohl es weiterhin von Kolleg:innen fleißig eingesetzt wird…
Wichtig ist: Eine bakterielle Infektion ist nicht gleichzusetzen mit einer
Entzündung. Eine Entzündungsreaktion (einhergehend mit Rötung, Schwellung,
Wärme, Schmerzen,..) kann z.B. auch entstehen durch eine Verletzung (ein
Trauma), durch Virusinfektionen, parasitäre Infektionen, Pilzinfektionen,
Autoimmunreaktionen, Tumoren, Stress, Unverträglichkeiten, Fremdkörper
u.v.m. – bei all diesen Ursachen hilft ein Antibiotikum gar nicht.
Außerdem gibt es viele bakterielle Infektionen, die vom körpereigenen
Immunsystem problemlos bekämpft werden können, denn das ist immerhin
sein Job! Die Bekämpfung einer Infektion braucht einfach meistens ein bisschen
Zeit, Ruhe und entsprechende Symptomtherapie.
Wir können also einpaar goldene Regeln festlegen:
-
- Ein Antibiotikum sollte nur dann eingesetzt werden, wenn eine
bakterielle Infektion nachgewiesen wurde, oder sehr, sehr (!) stark
vermutet wird (z.B. anhand bestimmter Blutparameter) - Ein Antibiotikum sollte nur dann eingesetzt werden, wenn eine
schwerwiegende bakterielle Infektion vorliegt, die das eigene
Immunsystem höchstwahrscheinlich alleine nicht erfolgreich bekämpfen
kann - Es muss immer das zum Erreger passende Antibiotikum gewählt werden
- Es muss immer eine passende Dosierung und Anwendungs-Dauer
ausgewählt werden - KEIN Einsatz eines Antibiotikum bei Lappalien
- Ein Antibiotikum sollte nur dann eingesetzt werden, wenn eine
Ergebnis einer bakteriologischen Untersuchung mit Resistenz-Testung
(Ohrtupfer). Nachgewiesen wurden Pseudomonaden (massenhaft). Die vielen
„R“ in der abgebildeten Tabelle weisen auf eine sehr schlechte Resistenzlage
hin. Die meisten Antibiotika werden gegen dieses Bakterium nicht mehr helfen.
Wann sollten wir also konkret kein Antibiotikum einsetzen?
-
- Bei Virusinfektionen ohne bakterielle Sekundärinfektion
- Bei Durchfall
- Bei Erbrechen
- Bei sterilen Blasenentzündungen (v.a. bei der Katze)
- Bei nicht infizierten Wunde
- Bei äußerlichen Verletzungen, die man gut desinfizieren kann
- Bei Bauchschmerzen unklaren Ursprungs
- Bei Rückenschmerzen oder Lahmheiten
- Bei den meisten Augenentzündungen des Hundes
- Bei steril durchgeführten Operationen
- Bei Schnupfen (meist durch Viren, Fremdkörper oder Tumor bedingt)
- Bei den meisten Formen von Husten (meist durch Viren oder strukturelle Erkrankungen bedingt)
- Bei sterilen Knochenbrücken
Bei Erkrankungen, deren Ursache unklar ist
u.v.m.Bei all diesen Punkten gilt natürlich: beim Nachweis einer bakteriellen Infektion
und einer entsprechend schwerwiegenden Symptomatik, kann in
Ausnahmefällen doch ein Antibiotikum sinnvoll werden. Allerdings muss der
Einsatz bei Lappalien beendet werden! Und dafür tragen primär wir als
Fachpersonal die Verantwortung, aber auch ihr als Besitzer:innen dürft gerne
intervenieren, wenn euch der Einsatz eines Antibiotikums dubios erscheint –
denn leider ist die Wichtigkeit des Themas offenbar noch nicht zu allen
Kolleg:innen durchgedrungen.
Zu guter Letzt gibt es noch einen weiteren ganz wichtigen Punkt: Bakterien sind
nicht immer „der Feind“! In den letzten Jahren kommt es zu immer mehr
spannenden Forschungsergebnisse zum körpereigenen Mikrobiom. Dieses
Mikrobiom besteht aus zahlreichen Bakterien, die sich in und auf unserem
Körper befinden und für eine große Rolle beim Erhalt unserer Gesundheit
spielen! Wir haben quasi ein riesiges Support-Team aus Bakterien zur
Verfügung, das verschiedenste Aufgaben des Immunsystems, der Verdauung,
der Hautbarriere u.v.m. übernimmt. Dieses Team sollten wir auf keinen Fall
durch den unsachgemäßen Gebrauch von Antibiotika gefährden. Da dasselbe
für unsere Haustiere gilt, müssen wir auch deren Mikrobiom schonen und
gegebenenfalls sogar aufpäppeln.
Beschützt das Mikrobiom und beschützt unsere Super-Waffen, die Antibiotika.
Wir brauchen sie für ganz, ganz dringend gegen lebensbedrohliche bakterielle
Infektionen.